Was macht eine Hobbyschneiderin ohne Nähmaschine?

Richtig! Sie macht sich Gedanken über neue Projekte, räumt ihre Nähecke auf, kopiert Schnitte, schneidet Stoff zu und überlegt, was sie an neuen Stoffen kaufen kann. Denn, wenn die Nähmaschine wieder funktioniert, muss sie natürlich ausgiebig getestet werden.

Vor drei Wochen rebellierte die Maschine. Sie hatte schon ein paar Anzeichen gezeigt, war manchmal etwas laut, ging manchmal etwas schwergängig, aber mit etwas zureden funktionierte sie. Bis, ja, bis ich die Armausschnitte an meinem neuen Leinenkleid genäht hatte. Dann sagte sie: „Tschüß“ und gab nur noch ein Brummen von sich, wenn ich das Pedal durchtrat. Brumm, brumm, brumm. Mehr nicht! Die Lampe gab ihren Geist auf, eventuell brannte sie durch und die Maschine war auch nicht durch Zureden mehr einsatzfähig.

Also musste sie zur Kur – äh, ich meine natürlich zur Reparatur. Am einfachsten erschien es mir sie in ihrer Tasche, die ich auch für die Nähtreffen benutze, zum Nähmaschinenhaus in der Langen Reihe zu bringen. Eigentlich plante ich das für einen Samstagmorgen vor der Arbeit. Dann verschlief ich jedoch genau an diesem Samstag und so kam sie doch erst ein paar Tage später dort an.

Drei bis vier Wochen lautete die Ansage. Eine Leihmaschine für die Zwischenzeit gibt es leider nicht. Aber den Hinweis man könne sich ja für die vier Wochen eine günstige Maschine kaufen. Klar, wenn man eigentlich eine 1.000 € Bernina sein eigen nennt, dann sind 129 € für eine Otto-Nähmaschine sicherlich kein Problem.

Meine Maschine ist knapp zehn Jahre alt. Das Modell gibt es neu auf dem Markt nicht mehr zu kaufen. Für meine Ansprüche ist sie perfekt und hat sich längst amortisiert. Um mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass sie vielleicht nicht mehr repariert werden könnte, schaute ich nach neuen Modellen. Einige sprachen mich an, einige kamen nicht in Frage, da mein Budget eingeschränkt ist und ich das Geld lieber für Stoffe und Nähzubehör ausgebe, als für eine Maschine, die mehr als 200 Zierstiche hat. Ich habe in meiner bisherigen Nähkarriere keine Zierstiche vermisst, warum also haben alle teureren Maschinen diese Funktion on top?

Seien wir doch mal ehrlich, wer benutzt schon mehr als fünf bis sieben Stiche an seiner Maschine? Liebe Marketingfachleute diverser Nähmaschinenhersteller: Was eine Nähmaschine können muss, sind keine Zierstiche. Sie muss funktionieren und ein automatischer Fadenabschneider wäre toll. Vielleicht sollte sie noch ein Kniehebel und eine Einfädelhilfe haben. Wobei ich bis jetzt auch noch gut genug gucken kann, dass das aktuell kein Kaufargument ist. Aber ein Fadenabschneider, das hat was. Und vielleicht noch eine Geschwindigkeitsauswahltaste; ist immer gut, wenn man Freunde an die Nähmaschine lässt, die bisher noch nicht viel genäht haben.

Ich bin mit wenig zufrieden. Das gilt sowohl für die Funktionen der Nähmaschine als auch für vieles andere in meinem Leben. Weniger ist Mehr. Minimalismus, Capsule Wardrobe, 10×10: Trends in einer Gesellschaft, wo alles im Überfluss vorhanden ist. Zumindest in unserer wohlgesättigten amerikanisch-europäischen Konsumgesellschaft.

Was wohl die Näherinnen in Bangladesch dazu sagen? Würden sie es verstehen? Würden sie genauso werden, wenn es in ihrer Gesellschaft keinen Mangel mehr gäbe?

Zeit Zuhause ohne eine Nähmaschine bedeutet auch: Mir geht vieles im Kopf herum. Hier im Westen leben wir im Überfluss, woanders gibt es einen Mangel. Aktionen wie #diydontbuy, die ich beobachte und zum Teil auch in meinem Leben verfolge, rufen zum Verzicht auf, zur Reduktion und zwar zum Schutz unserer Erde. Denn wir verbrauchen zu viele Ressourcen, das ist klar. Aber vor allem verbrauchen wir zu viele Ressourcen für Dinge, die im Leben gar nicht notwendig sind, die der Gesellschaft nichts nützen und die auch in der Wirtschaft nur abgeschrieben werden.

Ist es für ein Modelabel günstiger 10.000 als 5.000 Shirts zu produzieren, dann wird der Auftrag so geschrieben. Das dann am Ende vielleicht nur 8.000 Shirts verkauft werden, stört den Hersteller nicht. Dann landen die restlichen 2.000 halt auf anderen Märkten, als Altkleider oder Restmüll. Verbrennen kann man schließlich viel und Baumwolle brennt besonders gut. Und die Belastung für die Umwelt? Davon will das Modelabel nichts wissen – schließlich war es Bio-Baumwolle, die sie verarbeiten lassen haben.

Doch was ist mit der Wirtschaft in den Schwellenländern, würde auf einmal der Bedarf im Westen schrumpfen?

Für die Umwelt ist ein Kreislauf ganz normal. Die Natur wächst, gedeiht, verdorrt oder verblüht, nimmt sich Zeit für Regeneration und beginnt dann einen neuen Zyklus von Wachstum und Abfall. Nur, wenn sich der Natur die Möglichkeit bietet, mehr zu wachsen, dann nimmt sie diese Möglichkeit wahr. Doch sie versucht nicht ein künstliches Wachstum zu generieren.

Im Gegenteil das Modelabel/die Wirtschaft. Künstliches Wachstum ist der größte Faktor mit dem die Wirtschaft rechnet. Doch was sie dabei übersieht, ist der Faktor der natürlichen Grenzen. Wir sind von der Natur abhängig und keine Ressource kommt ohne einen Ursprung aus der Natur aus. Und keine Ressource hinterlässt keine Spuren – auch beim Verbrennen von Baumwollshirts entstehen Partikel, die dann in die Atmosphäre wandern.

Künstliches Wachstum ist also ein Faktor, der in der westlichen Welt dafür sorgt, dass unsere Umwelt belastet wird.

Hinzu kommt das natürliche Wachstum. Das Wachstum der Bevölkerung in vielen Teilen der Welt, das Wachstum der Natur, ob nun auf natürliche Art und Weise oder vom Menschen unterstützt, das Wachstum an Wissen und das Wachstum an Bedürfnissen. Ohne Wachstum, hat man das Gefühl, geht es nicht.
Doch stimmt das? Kann es wirklich ohne Wachstum gehen? Kann eine Nähmaschine vielleicht doch ohne eine Auswahl an mehr als 200 Zierstichen und einer Sprachsteuerung auskommen und trotzdem das Nähen ermöglichen?

Ich will nicht in die Steinzeit zurück, ich bin auch ohne Paleo-Ernährung glücklich. Und ja, auch ich sehe meinen Kontostand gerne wachsen, während sich mein Körpergewicht gerne konstant halten darf.

Was macht eine Hobbyschneiderin ohne Nähmaschine? Sie macht sich Gedanken über ihre eigenen Bedürfnisse, Ziele und Wünsche im Leben, in der Gesellschaft und in ihrer Umwelt.

Sie lässt die Gedanken rattern, anstatt die Maschine rattern zu lassen.


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